Unter den gescheiterten Start-ups ist jeder dritte Misserfolg auf Liquiditätsprobleme zurückzuführen, zeigt eine Studie von CB Insight. Vor allem in der Modebranche sind Produktentwicklung und Produktion oft mit hohen Investitionskosten verbunden. Eine finanzielle Unterstützung durch externe Investoren ist deshalb vor allem in der Anfangsphase eine naheliegende Option für viele Fashion-Brands.
Head of Marketing Frederico Vogt und Director of Business Operations Christoph Klippert des Capital Ventures Papa Oscar verraten im Interview mit Shopify, welche Auswahlkriterien für Frühinvestitionen im Fashion und Lifestyle-Bereich besonders wichtig sind und welche strategischen Faktoren Gründer beachten sollten, um mit ihrer Marke nachhaltig erfolgreich zu sein.
Finanzielle, strategische und operative Unterstützung für Jungunternehmer
Als einer der führenden Inkubatoren von Mode- und Lifestyle-Marken in Europa bietet Papa Oscar jungen Unternehmen finanzielle, strategische und operative Unterstützung sowie Zugang zu einem internationalen Netzwerk.
Seit seiner Gründung im Jahr 2017 hat das Investmentunternehmen von Christian Ogait und Andre Prautzsch bereits 19 verschiedene Marken in sein breit gefächertes Portfolio aufgenommen. Zu den innovativen Fashion- und Lifestyle-Brands zählen Start-ups aus den Bereichen Bekleidung für Herren, Frauen und Kinder sowie Schmuck und Haushaltswaren.
Frederico und Christoph sind seit der Gründung dabei und haben zahlreiche junge Marken auf ihrem Weg zum Erfolg begleitet. Ihre Erfahrung zeigt, Start-ups haben immer wieder mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen.
Du möchtest dein eigenes Modelabel aufbauen? Hier findest hilfreiche Tipps zum Thema Kleidung produzieren lassen.
Christoph Klippert, Head of Marketing bei Papa Oscar
Mit welchen Problemen haben die meisten Fashion-Start-ups zu kämpfen?
Christoph: Die häufigsten Herausforderungen für Start-ups können wir erfahrungsgemäß in sechs Bereiche unterteilen:
1. Warenfinanzierung: Zusätzliche liquide Mittel
Hier geht es vor allem um die Problematik der Vorfinanzierung. Junge Start-ups verfügen oftmals nicht über die nötigen finanziellen Mittel, um die erstmaligen Produktionskosten zu übernehmen.
Lesetipp: Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung sind Crowdfunding-Plattformen. Die 8 besten stellen wir hier vor.
2. Den passenden Lieferanten auswählen
Viele Gründer aus der Fashion-Szene haben wenig bis hin zu gar keiner Erfahrung in der Modeindustrie. Deshalb fällt es ihnen oft schwer, auf Anhieb geeignete Lieferanten und Hersteller zu finden.
3. Ein limitiertes Netzwerk
Aufgrund der mangelnden Branchenerfahrung fehlen Gründern wichtige Kontakte, wie beispielsweise zu Händlern.
4. Das passende Funding finden
Die Auswahl geeigneter Finanzierungsformen und die damit verbundenen Verhandlungen mit Banken und Investoren stellen eine weitere Herausforderung dar.
5. Den Exit erfolgreich umsetzen
Für den Fall eines Unternehmensverkaufs gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten wie den Trade Sale, Secondary Share Buyout, Buy Back oder IPO. Dabei ist es nicht immer leicht, die beste Option zu wählen.
6. Operative Prozesse effektiv gestalten
Die optimale Planung von Geschäftsmodellen, Strukturen und Prozessen ist für die Erreichung strategischer Ziele von großer Bedeutung. Essenzielle Bereiche wie E-Commerce, Buchführung, Logistik und Social Media Management gilt es, möglichst effizient zu gestalten. Eine Besprechung bei Papa Oscar
Wir legen Wert darauf, unsere Ventures in allen sechs Bereichen zu unterstützen. Der Fokus liegt jedoch auf den operativen Herausforderungen. Fragen wie „Woher bekomme ich Versandkartons?“ oder „Wie optimiere ich meinen Onlineshop?“ gehören zum Repertoire unserer Experten. Durch unser großes Portfolio entsteht außerdem ein Netzwerkeffekt, wodurch die Marken sich untereinander austauschen können.
In unserem Podcast erzählen regelmäßig Gründer:innen, wie sie ihr Unternehmen aufgezogen haben - auch finanziell!
Wer kann sich für Investitionen für sein Start-up bewerben?
Christoph: Generell können sich Start-ups mit einem Umsatz bis 1.5 Millionen Euro bewerben, die ein hohes Wachstumspotenzial aufzeigen. Für uns spielt ebenfalls eine Rolle, ob unsere Expertise für den aktuellen Wissens- und Entwicklungsstand des Unternehmens relevant ist. Je mehr Input wir für unsere Ventures liefern können, desto größer ist die Lernkurve.
Wir investieren in leidenschaftliche Gründer und nicht in Produkte.
Unser Portfolio ist vielfältig und enthält unter anderem handgemachten Schmuck von eve’s JEWEL, Jeans für Sportbegeisterte von Aesparel und Reiseaccessoires aus recycelten Materialien von MAJAVIA. Wir investieren in leidenschaftliche Gründer und nicht in Produkte.
Lesetipp: Apropos Investment: Welche Dinge du bedenken solltest, ehe du in dein Unternehmen investierst, zeigen wir dir in diesem Beitrag.
Wie verläuft der Bewerbungsprozess bei einem Start-up-Inkubator?
Frederico: Der Prozess ist abhängig von den Anforderungen des jeweiligen Inkubators. In unserem Fall können sich Gründer per E-Mail vorstellen. Daraufhin betreiben wir unsererseits Recherchearbeit zu Alter und Größe des Unternehmens, nehmen die Internetpräsenz unter die Lupe und bewerten, welchen Beitrag wir zum Wachstum des Geschäfts leisten können.
Sehen wir Potenzial in einer Zusammenarbeit, findet ein etwa 30-minütiger Pitch-Call statt, indem wir das Unternehmen kennenlernen und in dem der Gründer uns zeigen kann, dass er sein Business mit Leidenschaft betreibt.
War das Telefongespräch für beide Seiten positiv, laden wir die Gründer:innen zu einem weiteren, persönlichen Gespräch ein. Dieser Teil des Auswahlprozesses ist ähnlich wie bei der TV-Sendung Die Höhle der Löwen. Wir geben keine Vorgaben zur Form der Unterhaltung, da wir jedem Gründer die Möglichkeit geben wollen, sich und sein Produkt möglichst authentisch zu präsentieren. Eine betriebswirtschaftliche Auswertung sowie eine offene und ehrliche Art genügen in der Regel.
Das Meeting soll als Entscheidungsgrundlage dienen und alle wichtigen Punkte abdecken. Sind alle Details besprochen, wird in der Regel innerhalb von ein paar Tagen eine Entscheidung getroffen. Entscheiden wir uns dafür, eine Marke zu unterstützen, geben wir ein Investitionsangebot ab. Danach folgt eine kurze Finanzprüfung, bevor wir gemeinsam an die Arbeit gehen.
Da die Fashion-Branche sehr schnelllebig ist, läuft der gesamte Bewerbungs- und Entscheidungsprozess sehr schnell ab. Denn wer in dieser Branche zu langsam ist, stirbt.
So kannst du mit Abo-Commerce die Customer Lifetime Value Steigern.
Welche Auswahlkriterien muss ein Start-up erfüllen, um Venture zu werden?
Frederico: Damit sich Investoren an einem Start-up beteiligen, müssen sie echtes Potenzial sehen. Für uns sind vor allem folgende Faktoren von entscheidender Bedeutung:
1. Ein Gründerteam mit Leidenschaft
Gründer müssen einen echten Drive haben. Sie müssen der Motor der Marke sein. Wir können ein Unternehmen nur dann voranbringen, wenn der Motor läuft. Aus diesem Grund bevorzugen wir Vollzeitgründer, die genügend Kapazitäten haben, um ihre gesamte Energie in das Wachstum des Unternehmens zu stecken.
2. Innovative Ideen, innovative Produkte
Der Mehrwert des Produkts muss erkennbar sein. Dabei stellen wir immer die Frage: Löst das Produkt ein echtes Problem der Konsumenten?
3. Das richtige Business-Mindset
Wir erwarten nicht, dass Gründer:innen bereits wissen, wie sie eine erfolgreiche Fashionmarke aufbauen. Ein gewisses betriebswirtschaftliches Grundverständnis sollte jedoch vorhanden sein.
Lesetipp: So kannst du bei einem Elevator Pitch deine Idee innerhalb kürzester Zeit überzeugend präsentieren.
Wie setzt sich der Wert eines Unternehmens zusammen?
Das Papa Oscar Team
Christoph: Ein Investitionsangebot und somit der Wert des Unternehmens setzt sich aus dem Kaufpreis und der prozentualen Kapitalbeteiligung am Unternehmen zusammen.
Der Kaufpreis ist abhängig von der Bewertungsmatrix des Investors. Wir berechnen den Kaufpreis auf Grundlage des Umsatzes und Gewinns sowie gelegentlich in Bezugnahme auf weitere Faktoren wie das bestehende Inventar. Um all unseren Marken gegenüber fair zu sein, bewerten wir alle Ventures nach der gleichen Matrix.
Der genaue Beteiligungsanteil ist abhängig von der Größe des Start-ups zum Zeitpunkt der Investition. Je kleiner das Unternehmen, desto größer der Kapitalanteil, da das Risiko für Investoren größer ist als bei bereits etablierten Unternehmen.
Es gibt sowohl Minderheits- als auch Mehrheitsbeteiligungen. Unter Minderheitsbeteiligungen versteht man im Allgemeinen Kapitalbeteiligungen unter 50 Prozent. Wir wollen, dass Gründer weiterhin die Entscheidungsmacht behalten und gehen deshalb ausschließlich diese Beteiligungsform ein.
Lesetipp: Um einen Investor von deinem Fashion-Business zu überzeugen, brauchst du einen Business-Plan. Wie du den erstellst, kannst du in diesem Beitrag nachlesen.
Was macht eine Fashionmarke erfolgreich?
Christoph: Um erfolgreiche und nachhaltige Mode- oder Lifestyle-Unternehmen aufzubauen, ist es unerlässlich, die richtige Mischung aus Marketinginstrumenten, nachhaltigem Organisationsaufbau, operativer Unterstützung und optimierten Prozessen zu haben.
Prozessautomatisierung an den richtigen Stellen
Bestehende Prozesse sollten analysiert werden, um anschließend eine Art Schlachtplan für Shopsystem, Produktion und Kommunikation zu erstellen. Für eine optimale Struktur der Abläufe sind Prozessoptimierungen oftmals die beste Lösung. Kein Unternehmer möchte Zeit mit der Erstellung von Rechnungen oder Versandlabels verlieren.
Ziel dieses Vorgangs ist es, dass die Geschäftsführer der Fashion-Brands sich vollkommen auf das eigene Produkt beziehungsweise die Marke konzentrieren können. Die Einrichtung der technischen Komponente sollte deshalb in den Hintergrund rücken.
Ein Shopsystem, das zur Marke passt
Im besten Fall ist das System intuitiv bedienbar. Shopify bietet sich aufgrund seiner Simplizität und den individuellen Designs besonders für Fashion-Brands an. Die Einrichtung verläuft sehr schnell und die Bedienung kann anschließend ohne Probleme und lange Erklärungen von Mitarbeitern übernommen werden.
Viele unserer Ventures migrieren deshalb von komplexeren Systemen wie WooCommerce vs. Shopify oder Shopware vs. Shopify. Und falls es doch einmal komplexerer Code-Bausteine bedarf, können diese auch im Backend hinzugefügt werden.
Lesetipp: Was ist Shopify eigentlich? Die wichtigsten Fragen beantworten wir dir hier.
Eine durchdachte Finanzierung
Viele Gründer:innen befürchten, Investoren würden ihnen die Entscheidungsfreiheit rauben. Einen Investor ins Boot zu holen, heißt nicht unbedingt, die Kontrolle abgeben zu müssen. Wir möchten die Kontrolle nicht. Wir geben Handlungsempfehlungen, Gründer behalten jedoch die Entscheidungsmacht.
Nur mit echtem Gründer-Drive
Eine starke Marke lebt durch seinen Gründer. Jeder Unternehmer sollte sich die Frage stellen, wie viel Leidenschaft in seinem Projekt steckt.
Möchte ich diesen Weg wirklich gehen? Wie viel Aufwand und harte Arbeit bin ich bereit zu leisten? Bin ich ein Unternehmertyp?
Suche deine Partner gut aus. Dein Team, deine Lieferanten und Marketingpartner müssen deine Vision teilen und sich von deiner Leidenschaft anstecken lassen.
Gute Investitionen unterstützen im Krisenmanagement
Christoph: Die Modeindustrie ist schnelllebig und verändert sich ständig. Was heute boomt, kann morgen schon Schnee von gestern sein. Viele Gründer verschwenden ihre Energie aufgrund fehlender Erfahrung und Kontakte.
Einen geeigneten Investor zu finden, ermöglicht nicht nur finanzielle Sicherheit, sondern auch den Zugang zu Branchenwissen und einem etablierten Netzwerk. Vor allem in Krisenzeiten können diese Beziehungen ein echter Rettungsring sein.
Wir empfehlen ebenfalls, Systeme so aufzubauen, dass du als Unternehmer ortsunabhängig darauf zugreifen kannst und von überall aus arbeiten kannst. Corona zeigt aktuell, dass diese Strukturen weniger krisenanfällig sind.
Lebst du deine Marke, hat sie die besten Chancen zu überleben
Zuletzt bist du als Gründer selbst die wichtigste Ressource für deine Marke. Du bist die DNA deines Produkts. Lebst du deine Marke, hat sie die besten Chancen zu überleben.
Häufig gestellte Fragen zu Investitionen und Inkubatoren
Was sind Inkubatoren?
In der Unternehmenswelt unterstützen Inkubatoren Gründer in den frühen Entwicklungsphasen eines Start-ups. Diese Unterstützung beläuft sich in erster Linie auf finanzielle Hilfen, denn vor allem junge Unternehmen sind diesbezüglich meistens noch fragil und scheitern aufgrund fehlender liquider Mittel. Inkubatoren stehen aber oft auch beratend zur Seite, da sie über mehr Branchenwissen verfügen als unerfahrene Jungunternehmer mit einer aussichtsreichen Geschäftsidee.Wie für eine Inkubation bewerben?
Vor allem Start-ups mit einem großen Wachstumspotenzial kommen für eine Inkubation infrage, denn natürlich liegt den Inkubatoren viel daran, dass sich ihr Investment rentiert. Welche Inkubatoren für dein Business infrage kommen und wie du dich bewerben kannst, erfährst du am schnellsten mit einer kurzen Recherche im Netz. Gute Anlaufstellen sind Gründerportale, die für gewöhnlich Listen mit Inkubatoren führen. Nach einer ersten Kontaktaufnahme per Mail oder Telefon folgt häufig ein Pitch, in dem du die potenziellen Investoren von deiner Idee überzeugen musst. Dafür benötigst du einen fundierten Business-Plan. In diesem solltest du nicht nur dein Produkt, sondern auch deine Unternehmensstruktur und -identität, Produktions- und Vertriebswege und natürlich auch deine finanziellen Rahmenbedingungen darlegen können.Was ist bei der Gründung eines Fashion-Business zu beachten?
Die Modebranche ist schnelllebig, das solltest du bei der Gründung unbedingt berücksichtigen und dich nicht auf kurzlebige Trends, sondern auf eine konsistente Markenbasis fokussieren. Wichtig ist auch, dass du deine Geschäftsprozesse im Blick behältst und bei Bedarf nachjustierst. Vor allem in den frühen Phasen deines Unternehmens solltest du auch nicht davor zurückschrecken, dir die Hilfe von Investoren ins Boot zu holen. Diese geben dir nicht nur mehr Handlungsspielraum und Sicherheit, sondern ermöglichen u.U. auch den Zugang zu wertvollem Branchenwissen, das dir so verwehrt bleibt.Über die Autorin: Inara Muradowa ist SEO & Content Beraterin. Ihr Schwerpunkt ist der Bereich E-Commerce. Im Shopify-Blog porträtiert sie am liebsten erfolgreiche Gründer*innen und gibt Insider-Tipps zu aktuellen Trends.
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